Autoren über das Schreiben

Urlaub! Endlich! So lange hatten wir ihn herbeigesehnt

Ute Wilhelms Autorin von „Kentaur-Spirit“ und „Hautnah“

Der Flashback

Urlaub! Endlich!

So lange hatten wir ihn herbeigesehnt. Gerade nach den Ereignissen der letzten Wochen, hatten wir es uns unserer Meinung nach mehr als verdient.

Hier in Dänemark, in dem kleinen Ort Bierregard, konnten wir endlich Abstand gewinnen.

Schon als wir die Grenze zu Dänemark passierten, stellte sich dieses wohlige Gefühl von Ruhe und Entspannung ein. Die unvergleichliche Stille, die raue Seeluft, endlose Dünen und Strände, waren es was uns an diesem doch eher tristen Land, schon seit vielen Jahren faszinierte. Wir fuhren jedes Jahr mit unseren beiden Hunden, Q.C. und Pauline dort hin. Wir freuten uns auf die Zeit des nichts-tun-müssen, wie kleine Kinder auf den Weihnachtsmann.

Dass es diesmal anders werden würde als die ganzen Jahre davor, konnte ich mir zu Beginn nicht vorstellen. Alles war so wie immer. Das Wetter sollte in diesem Jahr nicht so viele sonnenüberströmte Tage haben, wie wir es kannten. Doch davon wollten wir uns unsere Urlaubslaune nicht verderben lassen. Ich hatte Regenmantel und Gummischuhe eingepackt. Außerdem genügend Bücher die ich noch lesen wollte und einen Laptop zum schreiben.

Meine Lektüre bestand aus diversen Romanen, einem Buch über Hundesport und……nein, diesmal nichts über Pferde.

Ich glaubte mich zu erinnern, dass dies der erste Urlaub war, an dem ich kein Pferdebuch dabei hatte. Ich wollte mich weiter mit dem Thema Hundesport vertraut machen, da ich mit Pauline seit Anfang des Jahres in einen einschlägigen Verein eingetreten war. Außerdem waren Pferde gerade das, wovon ich diesmal den Abstand brauchte.

Wir kamen Samstags, nach einer gefühlten Ewigkeit, in unserem dänischen Häuschen an. Bis Montag hielt sich das Wetter einigermaßen. Ein paar Regenschauer denen ich nicht all zu viel Bedeutung beimessen wollte, konnten unsere Laune nicht ernsthaft trüben.

Am Montag  schüttete es so sehr, dass man denken konnte der Himmel hätte ein Loch. Doch Olaf hatte  beim Buchen unseres Hauses an alles gedacht. Wir füllten den Whirlpool, heizten die Sauna und beschlossen einen angenehmen Wellnesstag zu verbringen. Ja, so stellte ich mir Erholung vor. Obwohl die Regenmassen  ein wenig meine Stimmung gedrückt hatten, ließ ich mich schnell wieder von den aufkommenden düsteren Gedanken ablenken. „Tabernero!“ Ab und zu konnte ich es nicht verhindern, dass er doch in meinen Gedanken wieder auftauchte. Es war gerade mal vier Wochen her, dass ich mein geliebtes Seelenpferd, durch ein tragisches Ereignis verloren hatte. Meine Hoffnung war es, in diesem Urlaub, weit weg vom Alltag, dieses grausame Erlebnis zu vergessen oder zumindest für diese Woche so weit in die hinterste Ecke meines Gehirns zu verbannen, dass ich es nicht sehen konnte.

Es gelang mir tatsächlich mich zu entspannen und meine Gedanken in eine positive Richtung zu lenken, bis zu diesem Abend.

Es war mittlerweile schon 22.30. Wir hatten vor dem Fernseher gesessen und ich hatte mit meinem Iphone, candy crush gespielt. Durch das angestrengte Sitzen und auf den kleinen Bildschirm schauen, hatte ich üble Kopfschmerzen bekommen. Mein ganzer Hinterkopf fühlte sich an als würde ein Bulldozer über meinen Nacken bis über meine Kopfhaut fahren.

„Mmmmm, die Hunde müssen noch raus.“

So sehr wie ich Dänemark liebte, so sehr hasste ich die abendliche Finsternis. Es regnete immer noch in Strömen. Na gut, Olaf war gestern, heute bin ich wohl dran.

Ich zog mir meinen langen Regen-Reitmantel an und zog die Gummischuhe, die ich mir von meiner Tochter geliehen hatte über die noch warmen Socken.

„Muss ich wohl mein Handy mitnehmen, oder?“, fragte ich meinen Mann, in der Hoffnung er würde nun sagen:

„Lass mal, ich gehe schon!“

Nein, tat er leider nicht also antwortete er:

„Irgendein Licht musst Du schon mitnehmen. Es ist stockfinster draußen. Man sieht die Hand vor den Augen nicht!“

‚Na, toll!’ dachte ich. ‚Wäre ja schön, wenn ich gar nicht raus müsste.’ Ich schnappte mir mein Telefon, streifte Pauline und Q.C. ihre Halsbänder über, klickte die Leinen ein und marschierte los.

‚Gott ist das dunkel’. Es regnete fast sinnflutartig. Vorsichtig versuchte ich mir einen Weg durch die Heide zu suchen. Hinter dem Haus ging ein Weg lang, der völlig im leeren endete. Tagsüber ging ich dort gern zwischen Heidekraut und Dünenlandschaft. Aber jetzt, mitten in der Nacht? Dort stand kein Haus, kein einziger Lichtstrahl füllte die Dunkelheit.

Nein, ich würde zwischen den Häusern langgehen. Dunkelheit und Regen – in diesem Moment wusste ich noch nicht warum ich immer ängstlicher und unruhiger wurde. Ich ging schnellen Schrittes mit den Hunden an den Häusern vorbei. Mein Handy leuchtete mir mit seiner integrierten Taschenlampe nur partiell, was meine Unsicherheit nicht schmälern konnte.

Ich suchte zwischen dänischen Ferienhäusern einen bewachsenen Grasplatz, an dem meine Hunde ihr Geschäft verrichten konnten ohne dass es jemanden stören würde. Doch hier zwischen den anderen Feriengästen würde sich so eine Stelle nicht finden lassen. So leuchtete ich ängstlich den Weg vor mir her. Dabei versuchte ich schon fast verzweifelt, beide Hunde durch die Dunkelheit zu führen ohne dabei das wenige Licht was ich hatte, aus den Händen fallen zu lassen. Dort vorn begannen die Dünen und dahinter war das Meer. Hier würde ich die beiden kurz von der Leine lassen können, damit sie inmitten des Schilfs ihre Notdurft verrichten könnten. Der Regen hatte ganze Seen von Pfützen hinterlassen. Hoffentlich würde sich Q.C. nicht gleich hinein fallen lassen. Nein, Gott sei Dank hatte er kein Interesse daran. Meine Unruhe steigerte sich von Minute zu Minute. Ich wollte zurück, ‚warum machen die blöden Hunde nicht einfach ihr Geschäft?’ Ich leuchtete zu den Dünen, die sich jetzt wie riesige Krater in der Dunkelheit vor mir aufzubäumen schienen. Da, was war das? Ich hatte die Hunde gerade abgeleint, als ein Lichtschein von der Spitze des vermeintlichen Kraters vor mir auftauchte. Meine Angst, die ich eben noch im Griff zu haben schien, verstärkte sich nun auf ein kaum auszuhaltendes Maß. Kam da Jemand über die Dünen. Mein Herz klopfte. In meinem Kopf machte sich eine Art Schwindel breit. ‚Jetzt nur nicht durchdrehen!’ schallt ich mich selbst. Mit den Augen suchte ich Pauline, die mit Volldampf den Sandberg herauf  geflitzt war. ‚Auch das noch, hoffentlich kommt sie wieder, wenn ich sie rufe.’ Q.C. stand gemütlich wie immer neben mir und schnüffelte.

„Pfttttt“, ein geübter lauter Pfiff auf zwei Fingern und Pauline kam in vollem Tempo auf mich zu gerannt.

‚Gott sei Dank!’, dachte ich bei mir.

„Braver Hund!“ Etwas erleichtert streichelte ich ihr kurz über das raue Fell.

Jetzt war der Lichtstrahl wieder weg. Ich spielte ein wenig mit meiner Lampe, bis ich etwas beruhigter feststellte, dass es der Lichtpegel meiner Lampe gewesen war, den ich dort an der Höhe gesehen hatte. Trotzdem klopfte mein Herz immer noch. Meine Nerven lagen einfach blank. Erst jetzt Begriff ich langsam, warum ich an diesem Abend so verzweifelt in der Dunkelheit umherirrte.

Als mir bewusst wurde, was sich hier gerade in meinem Unterbewusstsein abspielte, rollten mir die Tränen über die Wangen. Der Schmerz, der in mir aufkam schien mich innerlich zu zerreißen.

Nachdem ich beide Hunde wieder an der Leine hatte, trottete ich weinend zu unserem Haus zurück. Die Bilder der letzten vier Wochen waren plötzlich aus der hintersten Ecke, meines Schatzkästchens wieder aufgetaucht. Oder sollte ich lieber sagen meiner Katastrophenecke? Ich hatte keinen Namen für dieses grausame Ereignis. Aber es würde immer wieder auftauchen, wenn es dunkel war und dabei noch regnete. Plötzlich sah ich mich wieder mit meinem Auto in der Dunkelheit, über den von Pfützen übersäten Feldweg rasen. Mein Herz raste, Panik stieg in mir hoch. 4 Wochen war es her.
Nun schleuderte mich mein Gehirn zurück auf die Weide. Der Regen trommelte auf das Metalldach des Unterstandes nieder. Ich sah mich mit Tabernero neben dem Holzschuppen stehen. Ich streichelte ihn und sprach beruhigend auf ihn ein. Das Wasser lief an meiner Kleidung lang und über den Pferdekörper verhinderte dennoch nicht, dass der überhitzte Leib des Pferdes sich abkühlte.

Das Handy hielt ich als Taschenlampe in der Hand. Mein Pferdepartner, mein geliebter Seelenfreund stand vor mir. Sein Fell glühte fast vor Hitze. Es war kalt in dieser Nacht, doch Tabernero und ich spürten es nicht. Ich hatte meinen Mann weggeschickt um den Anhänger zu holen. Warum hatte ich das getan? War es meine letzte Hoffnung dieses Tier in eine Klinik zu bringen? Oder war es nur, dass ich mich allein von meinem Pferd verabschieden konnte. War es weil ich Olafs Verzweiflung nicht länger ertragen konnte? Hatte ich nicht mit meiner eigenen genug zu tun?

Instinktiv wusste ich, dass es keine Rettung mehr gab. Ein gebrochenes Bein war schon von je her für ein Pferd ein Todesurteil.

Und nun sah ich mich wieder mitten drin im Geschehen. Ich sah mich wie ich weinte. Der Schmerz, der so überwältigend war, fühlte sich wieder an wie in jener Nacht. Vor 4 Wochen als ich dort neben ihm stand durfte ich nicht weinen. Tabernero hielt es nicht aus und versuchte mit seinem gebrochenen Bein vor mir weg zu gehen. Laufen konnte er nicht mehr. Ich registrierte das, dass verletze Tier, meine Tränen nicht aushalten konnte. „Nein, bitte bleib stehen“, schluchzte ich. Bitte, ich hör auch auf zu weinen.“ Verzweiflung lag in meiner Stimme. Ich hatte das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wie auf Knopfdruck stellte ich das Weinen ein. Ich hatte gelernt zu funktionieren, mich zusammen zu reißen, wenn es nötig war. Diesmal war es nötig.

Ich schaffte es genau bis zu dem Zeitpunkt, meine Tränen unter Kontrolle zu haben, bis die Tierärztin kam. „Gibt es irgendeine Hoffnung?“ Sie musste die Verzweiflung in meiner Stimme gespürt haben. Ich wusste selbst, dass es nur eine retorische Frage war. „Nein,“ antwortete sie ruhig. „das ist ein offener Bruch und an der Stelle sowieso nicht.“

Als sie los ging um das Mittel zu holen, dass alle Hoffnung beerdigen sollte, öffnete sich der Stausee meiner Tränen. Unaufhaltsam rannen sie mir über das regennasse Gesicht. Mein Mann, der inzwischen zurückgekehrt war, hatte ein Halfter mitgebracht. Entweder hielt mein Pferd meine Fassungslosigkeit nun aus oder er wusste, dass er mit dem Zaum am Kopf nicht wegkam. Zumindest versuchte er nicht mehr auszuweichen. Als die Veterinärin Tabernero das Todesmittel gespritzt hatte, kamen die restlichen 4 Pferde zu ihm, um sich zu verabschieden. Olaf und ich lagen uns verzweifelt weinend in den Armen und sahen der Ärztin zu, wie sie geschickt das Pferd, das in sich zusammensank zu Boden führte. Als er dort im Gras lag, streichelte ich ihm über seinen schneeweißen Kopf. Leise weinend begleitete ich mein engelsgleiches Pferd zurück ins Universum. Er war vom Himmel gekommen und er ging zum Himmel zurück.

Traurig schlenderte ich mit meinen Hunden zurück zu unserem Ferienhaus.

„Regen und Dunkelheit sind nicht mehr meine Stärke. Ich kann es nicht aushalten. Die Gedanken kehren zurück!“ Ich hatte die Hunde abgetrocknet und mich selbst vom regennassen Zeug befreit.

Olaf, sah weiter auf sein IPad als er antwortete. „Ja genau, ich halte es auch nicht aus!“ Jetzt wusste ich warum er gestern Abend, als er mit den Hunden draußen war und es auch schon regnete, mit so schlechter Laune zurück gekommen war. Auch er war von dem Wetter und der Dunkelheit angetriggert worden.

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